Die Begründungen

Die Jury entscheidet sich mehr Preise als üblich zu vergeben - Konnte sich die Jury nicht entscheiden? Doch! Sie konnte und dies sehr bewusst, weil diese Entscheidung auch das Selbstbewußtsein der KJT -Szene in NRW einmal mehr bestätigen und befördern möchte und sollte: die eingeschlagenen Wege von gelungen künstlerischen Umsetzungen, Wagnissen und Impulsen weiterhin so wunderbar und leidenschaftlich zu begehen und weiter zu führen. Uns hat vieles bewegt, wir haben kühne und ansprechende Raumlösungen, choreografisch eindrückliche Momente, hervorragende Einzelleistungen erlebt, die vielleicht auch eine besondere Würdigung verdient hätten. Insofern geht ein Lob an alle Ensembles und an die Auswahljury, der es gelungen ist, auch bei uns intensive Diskussionen auszulösen. Allein zu kritisieren ist, dass sie uns die Entscheidung äußerst schwer gemacht hat. Wir danken für eine intensive Woche der Theaterkunst für das junge Publikum und eine wundervolle, wirtliche und liebevolle Festivalgestaltung und Organisation.


Die Preisjury zeichnet die Produktion "2050 - ein Tag im November" mit einem Preisgeld von 1000 Euro aus. Weil sie mit dem Appell an die persönliche politische Verantwortung des Einzelnen ein wichtiges inhaltliches Zeichen setzt in einer sich entpolitisierenden Gesellschaft. Weil sie den Fallstricken des politischen Themenstückes mit einer Regie begegnet, die es mit reduzierter Ausstattung und Darstellung dem Zuschauer überlässt, sich eine Meinung zu bilden. Weil es besonders der Hauptdarstellerin gelungen ist, uns in den Bann einer spannenden Geschichte über politischen und privaten Egozentrismus zu ziehen. Die Jury zeichnet die Schauspieler und Schauspielerinnen der Produktion "Demian - die Geschichte einer Jugend" des Jungen Schauspielhaus Düsseldorf mit einem Darstellerpreis von 2000 Euro aus. Für eine beeindruckende, außergewöhnlich konsequente und leidenschaftliche Leistung. Dies ist umso mehr zu loben, weil die Kühnheit sowohl des Gesamtprojektes als auch die geforderte Spielweise alle Facetten des schauspielerischen Könnens und Einsatzes erfordern, insbesondere was die abverlangte Wandlungsfähigkeit angesichts ständiger szenischer Wechsel betrifft. Qualität erkennt die Jury sowohl im Hinblick auf die Textbehandlung als auch in der physischen Umsetzung. Und das in einem Regie- und Raumkonzept das alles andere als ein Netz oder doppelten Boden gewährleistet. Wäre eigentlich noch ein Preis für schauspielerischen Marathonlauf zu vergeben...

Die Preisjury zeichnet die Produktion "Adler an Falke" des Consol Theater Gelsenkirchen mit einem Preisgeld von 2000 Euro aus. Für ein humorvolles, anarchisches und fast unmerklich aber wirkungsvoll choreographiertes Spiel, das in einer glanzvoll schaumigen Schlussszene seinen Höhepunkt erreicht. Demütigungen, Wettbewerb, Streitigkeiten und Glücksmomente einer Freundschaft zwischen zwei durchtriebenen Jungs auf der Suche nach männlicher Identität spiegeln den jungen Zuschauern wie auch den Erwachsenen Ängste, Sehnsüchte und Abgründe der eigenen Seele und bringen sie gemeinsam zum Schmunzeln und Nachdenken. Die Preisjury zeichnet die Produktion "Frau Meier, die Amsel" des Theater Marabu mit einem Preisgeld von 2000 Euro aus. Präzise, humorvoll und einfühlsam behandelt das Theater Marabu die berührende Geschichte der Überwindung einer Depression. Mit einem detailreichen und witzigen Bühnenbild, reizvollen und treffenden szenischen Lösungen, genauer körperlicher und psychologischer Darstellung und wunderbarem Zusammenspiel vermittelt es den ganz jungen Zuschauern ein komplexes Thema auf nachvollziehbare und einfache Weise. Es nimmt das Publikum mit in seine Welt und lässt die Phantasie dabei fliegen.Die Preisjury zeichnet die Produktion "Der große Saal" vom Theater Mini-Art mit einem Preisgeld von 3000 Euroaus Weil sie dem jungen Publikum zutraut, sich für etwas anderes zu interessieren als für sich selbst und ausgerechnet im Jugendtheater, wo man es sonst gerne rocken lässt, vor allem auf Stille und leise Töne setzt. Weil sie von etwas Wichtigem erzählt, was in unserer Gesellschaft allzu gerne verdrängt wird: über die Grausamkeit und den Schmerz des Alterns, über Scheitern, Verlust von Würde, über Einsamkeit, Abschied und Sterben. Weil die Regie unaufdringlich und zurückhaltend erzählt und Empathie erzeugt, indem sie dem Publikum die Bewertung der Situation und das Fühlen überlässt und die Geschichte nachvollziehbar entwickelt. Weil die bildnerischen und darstellerischen Mittel (das Erzählen, das Schauspiel, das Puppenspiel) handwerklich beherrscht, wahrhaftig und angemessen eingesetzt werden und wesentlich dazu beitragen, die Geschichte berührend und sogar humorvoll zu erzählen. Weil eine überzeugende Dramatisierung einer Lebenserinnerung gelungen ist. Kurz: bei dieser Produktion stimmt einfach alles!

Publikumspreise

Begründung der Kinderjury - Adler an Falke
Für Jungs ist das typisch, dass sie mit ihren Freunden abhängen wollen. Kann aber auch Mädchen passieren. Wir haben zwei kleine Jungs gesehen, die sich wie 6-8Jährige benommen haben: Auto-Wettrennen, Quatsch machen im Garten, von der Rampe runterfahren, vorwärts, rückwärts oder auf dem Bauch, ums schöne blaue Bobby-Car streiten. Uns hat gefallen, wie sie sich als Mädchen verkleidet und sich die Frisuren aus Rasierschaum gemacht haben. Den Streit mit den Eltern kennen wir gut. Und wir kennen auch das Gerede: Komm, wir stehen um Mitternacht auf! Und dann hat man es verschlafen oder es war erst 8 oder 9 Uhr. Wir fanden den Tanz mit den Bobby-Cars gut ? mal was anderes! Er könnte übrigens unserer Ansicht nach noch mit Disko-Licht verbessert werden. Für die kleineren Zuschauer ist die Geschichte mit dem Knochenmann, der ein Loch in den Boden sägt und einen in eine unbekannte Welt zieht, sehr spannend. Wir fanden auch die Vorstellung, dass er Angst vor Mädchen und Mädchensachen hat sehr lustig und dass der Knochenmann mit der Mädchendecke verscheucht wird. Die Zündschnur zur Wutbombe gleich am Anfang des Stückes war sehr beeindruckend.

Begründung der Jugendjury - Peter Pan and the lost boys
Eine Schüler-VZ-Gruppe lautet: "Ich bin wie Peter Pan, kein Stück erwachsen, aber derbe cool." Was uns dieser Peter Pan hier geboten hat, war nicht bloß plumpe Coolness, er zeigte Wut, Schwäche und Verletzlichkeit in einem rasanten Tempo. Seine "lost boys" beeindruckten durch temporeiche Rollenwechsel von Piraten zu Brüdern, Kindermädchen oder Indianern. Die schauspielerische Leistung war unglaublich facettenreich, mitreißend, überzeugend und berührend. Peter Pan and the lost boys erzählt die Geschichte vom zwanghaften Willen, dem mainstream-Alltag zu entfliehen, sich auch als Erwachsener zu fragen: wo bin ich noch Kind geblieben? Wir kannten Peter Pan, Kapitän Hook auch. Hatten wir geahnt, dass Peter Pan and the lost boys uns mit einem rhythmischen Wechsel von Lachen und Berühren mitreißt? Definitely not. Hat es aber. Kein Hollywood-Happy-End, kein Ende gut, alles gut, NEIN. Die Frau verlässt ihren Mann und alles wird sich ändern ? genau wie heutzutage in vielen Trennungsfamilien. Beeindruckt hat uns das Bühnenbild. Mit Phantasie wurde eine Lampe zum Marterpfahl, ein Sofa und eine Standuhr zum Krokodil, Schlagzeugstöcke zu Waffen und Nachthemden zu Windeln. Ein Fenster zur Phantasie, dargestellt in einem Spiegel. Das Publikum spielt mit. Und wie es glitzert! Man kommt in den roten Saal, der kaum rot und vor allem voller Nebel ist. Eine warme Männerstimme haucht einem zu Beginn des Stücks entgegen. Live und wieder einmal ? wie so oft bei Peter Pan ? bezaubernd und berührend. Die eigene Musik, das fast musical-mäßige, verlieh dem Stück das gewisse Etwas. Songs, die perfekt zum Stück passten, Stimmen, die wunderbar harmonierten. Peter Pan and the lost boys ist ein Stück, das das Publikum verzaubert, anspricht, zum Nachdenken lockt, erinnern lässt an sich, an die eigene Kindheit und die Zukunft.

Demian - Die Geschichte einer Jugend

Überzogen, übertrieben - Demian lässt keinen Aspekt einer Jugend aus: Religion, Sexualität, Idole, Enttäuschung, Verachtung, Unsicherheit und die Frage "Wer bin ich?". Die Inszenierung des Jungen Schauspielhauses Düsseldorf bringt die Situation eines Menschen in dieser komplizierten Phase des Erwachsenwerdens auf den Punkt. Wir alle sind oder waren ein bisschen Emil. Wir brauchen Anker und Wegweiser wie Demian. Das Leid, die Liebe, der Alkoholismus, die Verwirrung, das Heraufschauen zum Idol und das Sich-Selber-Finden wurde sehr überzeugend dargestellt. Im Laufe des Stücks füllte sich die Bühne mit scheinbar unwichtigen alltäglichen Dingen, denen jedoch nach und nach eine wichtige Bedeutung zuteil wurde. Selten hat ein Stück so unglaublich viele Requisiten und selten geben alle einen Sinn. Trotz - oder gerade wegen der vielen langen bildhaften und die Geschichte an sich nicht weiterbringenden Szenen blieb eine unheimliche Spannung und Energie erhalten. Als wir wieder zuhause waren, wurden wir gefragt: "Wie war das Stück?"- Krass. Es war einfach zu krass. Vielleicht waren wir noch zu geschockt, zu paralysiert, zu mitgerissen, von dem, was wir gesehen und gespürt hatten - jedenfalls konnten wir erstmal nichts sagen. Später erzählten wir dann. Auch von den Schweinereien, von dem Chaos, der Verzweiflung, dem Erwachsen werden. "Mensch, ihr klingt ja wie im Fieber!" Fieber ist etwas ziemlich Unangenehmes, aber hier fühlte es sich gut an. Paradox, oder?

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